Grenzenloses Grabfeld Station 04 Aktion Ungeziefer
Dorfstraße, 98663 Schlechtsart, Deutschland
Grenzenloses Grabfeld Station 04
Aktion Ungeziefer
Das „Niemandsland“ hinter der Grenze
Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der Demarkationslinie vom 26. Mai 1952 © Grenzlandmuseum Eichsfeld/ Bildarchiv
Mit den 1952 erlassenen "Maßnahmen an der Demarkationslinie" wurde in der DDR 500 Meter östlich der Grenze ein zusätzlicher Schutzzaun errichtet und ein 5 Kilometer breiter Korridor hinter der Grenze zum „Sperrgebiet“ erklärt. Mehr als 300 Dörfer und Städte vom Dreiländereck im Fichtelgebirge bis an die Ostsee lagen in diesem Bereich. Mit dem Erlass ändert sich vom einen auf den anderen Tag für ca. 200.000 Menschen das Leben noch einmal deutlich drastischer als für den Rest der DDR-Bürger. Denn das Sperrgebiet wurde nicht nur noch einmal mit Zäunen und Grenzposten gesichert, es galten auch ganz eigene Gesetze:
"Die Ortseinwohner müssen bei der Grenzbehörde erfasst sein. Der Aufenthalt im Freien ist nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gestattet. Es dürfen keinerlei Versammlungen und Veranstaltungen durchgeführt werden. Hotels, Pensionen und Gaststätten sind zu schließen."
Warnschild an der Sperrzone der innerdeutschen Grenze, Bild von Ersatz2, CC-BY SA 4.0
Generell gilt, dass das Sperrgebiet nur mit einem Sonderausweis betreten werden darf. Die Bewohner standen somit rund um die Uhr unter ständiger Überwachung. Ohne Sonderausweise ging kein Weg hinaus und hinein. Vorn die Mauer, hinten Sicherungszäune. Überall patrouillierten Grenzsoldaten. Bei jeder Ein- und Ausreise mussten mehrere Kontrollposten passiert werden. Zu Besuch durften nur Verwandte ersten Grades kommen. Und es konnte schon bis zu sechs Wochen dauern, bis ein Besuchsantrag seine Runde gedreht hatte: vom SED-Sekretär zum Bürgermeister, von dort zum Kompaniechef der Grenztruppen und schließlich zur Staatssicherheit…
„Aktion Ungeziefer“ – Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze
Nach den 1952 erlassenen Maßnahmen begann das DDR-Regime schließlich auch Personen aus der Sperrzone zwangsumzusiedeln. In die Geschichtsbücher sind hier zwei große, generalstabsmäßig angelegte Operationen der DDR, die im Juni 1952 als „Aktion Grenze“ und im Oktober 1961 als „Aktion Festigung“ mit dem Ziel durchgeführt wurden, in politischer Hinsicht als unzuverlässig eingeschätzte Personen aus dem Sperrgebiet entlang der innerdeutschen Grenze zu entfernen.
Der thüringische Innenminister und kommissarische Ministerpräsident Willy Gebhardt war für die Umsetzung der „Aktion Grenze“ in Thüringen verantwortlich. Seine handschriftliche Notiz an den damaligen 2. Landesvorsitzenden und Landessekretär der SED in Thüringen, Otto Funke, über die Anzahl der dabei aus den Grenzgebieten in das Innere der DDR zwangsumzusiedelnden Menschen „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“ wird vielfach als Ausdruck der menschenverachtenden oder gar entmenschlichenden Sichtweise der DDR-Führung beschrieben. Die „Aktion Grenze“ wurde daraufhin intern als „Aktion Ungeziefer“ weitergeführt.
Innerdeutscher Grenzzaun, Bild von Reinhard Hunscher, CC BY-SA 2.0 de
Von Historikern wird davon ausgegangen, dass bei den Aktionen „Ungeziefer“ und „Festigung“ (1961) insgesamt zwischen 11.000 und 12.000 Menschen umgesiedelt wurden und sich ca. 3.000 Menschen dieser Maßnahme durch Flucht aus der DDR entzogen. Im Zusammenhang mit den Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet sind sechs Suizide nachgewiesen.
Planierraupen und Wüstungen
Gedenkstein Wüstung Leitenhausen, Bild von Frysztacki Bianca, CC-BY-SA 3.0
Doch es wurden nicht nur Bürger zwangsumgesiedelt. Denn auch ganze Weiler und Ortschaften wurden dem Erdboden gleichgemacht, da sie schlicht „im Weg“ waren. So geschehen mit dem 1317 erstmalig erwähnten Weiler Leitenhausen, der sich bis 1972 genau hier an diesem Ort befand. Das kleine Dorf galt bis 1912 als Rittergut. Da es sich aber genau 500 Meter östlich der Grenze befand, fiel es 1972, nachdem alle Einwohner umgesiedelt wurden bzw. selbstständig wegzogen waren, vollständig dem Bau des 500-Meter Schutzzaunes zum Opfer. Innerhalb weniger Tage wurde das Dorf geschleift. Mehr als 50 Orte vielen so den Planierraupen der DDR zum Opfer. Viele dieser, heute als „Wüstungen“ bezeichneten Orte, sind heute Gedenkstätten für die Gräueltaten des DDR-Regimes.
Der Gedenkstein für das Dorf Leitenhausen wurde hier 1993 errichtet.
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